Vorwort
Der Klettersport ist faszinierend. Seine Faszination liegt zu einem Teil sicher an der Bewegungsvielfalt, die dieser Sport mit sich bringt. Jeder Boulder ist einzigartig und kitzelt neue Bewegungen aus uns heraus. Der Kreativität der Routen- oder Boulderschraubenden sind aufgrund der riesigen Bandbreite an Griffen, Tritten und Volumen mittlerweile kaum Grenzen gesetzt. Hinzu kommt, dass sich der Klettersport, uns insbesondere das Bouldern, als eigenständige Disziplin, hinsichtlich seines Bewegungsspektrums stark geöffnet hat. Im Gegensatz zu den Anfängen, wo die Gestaltung von künstlichen Boulderproblemen noch sehr stark an den Bewegungen orientiert war, die sich an natürlichen Felsstrukturen finden ließen, kamen nach und nach mehr turnerische und Parcours-Elemente hinzu.
Damit kombinierte man die Vorteile und Stärken aus verschiedenen Disziplinen, um neue Herausforderungen für die Athleten und spektakuläre Spezialeffekte für die Zuschauenden zu erzeugen. Die kreative Vermischung aus klassischen Boulderproblemen und koordinativen Bewegungsabläufen führte und führt auch für die Trainer/-innen und Schraubenden zu einer Vielzahl von neuen Herausforderungen.
Das sich aus der disziplinären Vermischung ergebende interdisziplinäre Bewegungsspektrum, lässt sich an natürlichen Felsformationen eher selten finden. Will man in beiden Welten stark unterwegs sein, dann muss man sich stets mehr Wissen und mehr Fähigkeiten aneignen. Auch hier gilt also das Prinzip des lebenslangen Lernens.
Ein wichtiger Aspekt dabei ist das Projektieren, um das es in diesem Beitrag geht.
Oftmals kommen wir beim Versuch einen Boulder zu schaffen an unsere Grenzen. Manchmal zeigt uns ein Boulder als Ganzes oder eine einzelne Bewegung in einem Boulder, was wir noch nicht können.
Was ist ein Projekt?
Von einem Projekt, im Kontext des Klettersports, kann man immer dann sprechen, wenn man sich den Durchstieg des Boulders oder der Route erarbeiten muss. Zumeist sind das Linien, die man also nicht flashen (d.h. im ersten Versuch durchsteigen) oder schnell durchsteigen kann. Projekte sind Boulder, die Zeit erfordern, weil sie vielleicht technisch komplex, physisch sehr anspruchsvoll oder beides zusammen sind. Je länger ein Projekt ist, umso mehr Analyse erfordert die Entschlüsselung der Gesamtaufgabe. Lange Boulder oder Routen haben viele Einzelsequenzen. Die Einzelsequenzen können kompliziert, psychisch oder physisch anspruchsvoll sein. Das kann Einzelzüge oder mehrere Stellen in einer Linie betreffen. Die Gesamtschwierigkeit des Projektes ergibt sich aus der Summe der Sequenzen, die einen Durchsteig erschweren.
Projekte richtig angehen
Nun stellt sich die Frage, wie man ein Projekt richtig auswählt und in Bezug auf seine eigenen Fähigkeiten einordnet. Der Fokus liegt im Folgenden auf die Herangehensweise bei Boulderprojekten.
Es gibt vier Möglichkeiten, wenn ich mich mit Projekten konfrontiere:
1. Ich kann den Boulder und weiß auch wie er geht, muss aber Zeit investieren.
2. Ich kann den Boulder, weiß aber nicht, wie er geht und muss Zeit investieren und ihn auszutüfteln.
3. Ich kann den Boulder, weiß aber nicht, wie er geht und komme auch auf keine Idee, womit er unmöglich erscheint.
4. Ich sehe keine Möglichkeit den Boulder, mit meinem jetzigen Leistungsniveau, durchzusteigen.
Bevor du an ein Projekt gehst, solltest du mir darüber klar werden, welcher der 4 Punkte auf deine Situation zutrifft. Trifft Punkt 4 zu, so kann es hilfreich sein, sich Tipps oder weitergehende Unterstützung zu holen.
Projekte klettern
Nachdem du eine grobe Enschätzung der Lage hast, kann es konkret ans Werk gehen. Die folgenden 8 Schritte helfen dir dabei, Projekte strukturiert und zielführend anzugehen:
1. Ich suche mir oder sehe ein ansprechendes Projekt. Ein Projekt, dass mich nicht anspricht, für das werde ich nur wenig Motivation aufbringen können. Und Motivation ist ein entscheidender Schlüssel für den Erfolg. Auch beim Bouldern.
2. Das Projekt sollte man vorher genau anschauen und die entscheidenden Griffe und Tritte putzen. Das Putzen kann besonders an Projekten draußen entscheidend sein.
3. Nachdem man den Boulder gefunden und die entscheidenden Griffe und Tritte geputzt hat, entwickelt man eine erste Idee für die Einzelzüge und den Durchstieg.
4. Einzelzüge probieren oder ersten Go machen. Je nachdem, ob man sich einen Flash erhofft oder nicht, kann man das Ausbouldernvon Einzelzügen vor oder nach einem Durchstiegsversuch vornehmen. Misslingt der Flash aufgrund eines technischen Fehlers, dann muss man den Fehler finden. Misslingt der Flash, weil ein Zug einfach zu schwer war, dann muss man herausfinden, ob der Zug anders leichter oder durchführbar wird. So geht man mit jedem Zug in einem Boulder vor, den man nicht auf Anhieb hinbekommt.
5. Wenn man die Einzelzüge ausgetüftelt hat, dann optimiert man seine Durchstiegsbeta. Dabei sollte man seine persönliche Stärken und Schwächen berücksichtigen. Bestandteil der Optimierung ist eine genaue Analyse der Griffe und Tritte.
6. Schafft man das Projekt trotzdem nicht, obwohl alle Einzelzüge und Übergänge gehen, dann sollte man zwischen den Durchstiegsversuchen in jedem Fall ausreichend pausieren.
7. Aus einem Boulder zwei machen. Den Boulder in zwei Teilen klettern, kann ein erstes Ziel sein, wenn der Durchstieg als Ganzes noch nicht funktioniert.
8. Hat man den Boulder in zwei Teilen gemeistert, dann geht es darum diese beiden optimierten Teile miteinander zu verlinken.
Das sind die wichtigsten Punkte, die man beim Projektieren berücksichtigen sollte. Das genaue „Wie“ der sportlichen Umsetzung bleibt von individuellen Faktoren abhängig. In unseren Workshops unterstützen wir Anfänger und Fortgeschrittene leistungsspezifisch dabei, ihre Projekte erfolgreich zu meistern und die Grenze des Machbaren nach oben zu verschieben.
Viel Spaß und Erfolg beim Projektieren.
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